Die Macht des Einzelnen

Es ist bei uns ein immer wieder gerne diskutiertes Thema – Rezensionen und ihre Auswirkungen. Zu diesem Thema habe ich gerade gestern einen Artikel in einem Magazin gelesen, der letztlich auch die Aussage getroffen hat, dass sich in der heutigen Zeit keiner mehr eine eigene Meinung bildet. Und dass dadurch eben so einiges verpasst wird. Rezensionssysteme und Sternchen sagen uns, was gut ist und was schlecht. Wir brauchen uns also kein eigenes Bild mehr davon zu machen. Sternchen schlecht? Klick ich nicht mehr an.

Und es ist tatsächlich so – ein Einzelner hat heute die Macht darüber, zu bestimmen, was alle gut finden. Was Erfolg haben darf und was nicht. Wir geben der Meinung eines Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen die Berechtigung, über uns und unser Empfinden zu bestimmen. Nur leider denkt keiner von uns darüber nach, warum wir das eigentlich tun. Wir nehmen alles kritiklos hin.

Das findet schon bei gebräuchlichen Artikeln statt. Zum Beispiel erstaunt es mich immer wieder, dass meine Lieblingshaarfarbe bei Amazon vernichtende 2 Sterne aufweist, während ich der Überzeugung bin, dass es keine bessere Farbe gibt. Diese 2 Sterne kommen von mindestens 10 Leuten zusammen, die das Mittel in den Boden stampfen. Hätten diese damals schon existiert, als ich die Farbe gekauft habe, hätte ich sie nie erworben. Und das wäre wirklich ziemlich schade.

Natürlich greift das auch auf den Buchmarkt über. Ich erinnere mich an den Tag, als Lukrezia ihre ersten 2 Sterne bekommen hat. Damals waren die Buchausgaben noch nicht zusammengeführt und über gut eine Woche standen diese 2 Sterne – die Meinung einer einzelnen Person – in voller Pracht auf der Amazon Seite. Die Folge war ein extremer Einbruch über die gesamte Dauer dieser Tage, bis schließlich die restlichen Rezensionen aufgetaucht sind und der Eindruck dadurch gemildert wurde. Siehe da, schon hatte ich wieder eine Chance und die Sache hat sich erholt. Aber vorher hat offenbar keiner mehr überhaupt auf das Buch geklickt. Weil EINE Person nicht mochte, was sie gelesen hat. Zu schade, dass diese EINE Person eine solche Macht besessen hat. Und das, obwohl es heute Leseproben gibt. Es ist einfacher, einen Fehlkauf zu vermeiden, als je zuvor. In einer Buchhandlung konnte ich früher auch nur den Klappentext lesen und mal reinblättern. Ich konnte nicht 100% sicher sein, ob das Buch gut oder schlecht ist. Gelesen habe ich es trotzdem. Manchmal ging das daneben – na und? Ein Weltuntergang war das sicher nicht.

Nun ist bekannt, dass das gerade im Indie-Bereich eine ziemliche Pest ist. Da herrschen Hauen und Stechen und ein Konkurrent, der zu lange irgendwo vorne steht, kassiert schnell mal eine inhaltslose Rezension mit einem Sternchen, die dann dafür sorgt, dass seinem Erfolg ein hübscher Dämpfer verpasst wird. Nur leider wissen das die Wenigsten – was da steht, wird oft für bare Münze genommen. Man bekrittelt die 5 Sterne Rezensionen als Fake oder Freundschaftsdienst und glaubt den 1 Stern Rezensionen ohne jede Kritik. Auch wenn diese klar besagen, dass der Schreiber das Werk selbst nie gelesen hat. Weiß aber keiner. Warum? Weil niemand diesem Buch eine Chance gibt. Es ist ja schließlich schlecht, nicht wahr?

Vor einer Weile habe ich eine Buchserie gelesen. Der erste Teil war so lala. Es gab nervige Stellen, obwohl das Thema nicht uninteressant war. Der zweite Teil davon hatte eine einzige 2 Sterne Rezension. Nun ja. Da mein erster Eindruck nicht so gut war, war ich durchaus geneigt, dieser Meinung zu glauben. Also hab ich es erstmal liegen gelassen. Irgendwann, aus reiner Verzweiflung, habe ich den Kaufen Button gedrückt. Trotz der noch immer für sich stehenden 2 Sterne. Und siehe da – das Buch war richtig, richtig gut. Es hat mir ausnehmend gut gefallen. Ohne diese Kinderkrankheiten von Teil 1. Kurzum – ich hätte diesem so schlecht dastehenden Buch sicher zwischen 4 und 5 Sternen gegeben. Aber normalerweise rezensiere ich nicht. Also wird keiner je erfahren, dass ich das Buch gut finde und es noch eine ganz andere Meinung zu dieser Sache gibt. Die Autorin dürfte es in diesem Fall nicht stören – in Amerika erfolgreich, wird sie der evtl. mangelnde Erfolg in Deutschland nicht kratzen. Leider sieht es bei den Indies anders aus.

Tja. Meistens ist es auch wirklich so, dass diejenigen, die etwas gut finden, weitaus seltener rezensieren als jene, die es schlecht finden. Selbst wenn Erstere vielleicht zahlreicher sind. Den Mund machen meistens die Meckerer auf. Das Bild, das sich daraus ergibt, wird also immer negativ bleiben.

Was bleibt also? Vielleicht nicht immer so sehr auf die Meinung anderer hören. Nicht nur nach Sternchenzahlen gucken, sondern auch den Inhalt einer Rezension kritisch betrachten. Und – wenn man über ein Buch von einem Indie stolpert, das man richtig gut findet, freut dieser sich sicherlich immer sehr darüber, wenn es ein Lebenszeichen der begeisterten Leserschaft gibt. Ich glaube, das kann ich für alle sagen, die sich in diesem Bereich bewegen. Denn Kritik bekommen alle schon von Natur aus mehr als genug auf den Deckel. Einfach, weil es „Indies“ sind. Und kein „Verlags-Qualitäts-Sigel“ auf den Büchern pappt. Ob das nun berechtigt ist oder nicht.

Und dann gibt es noch das Abwägen – ist es jetzt so wichtig, dass ich meine negative Meinung zum Besten gebe und es damit in Kauf nehme, dass ich eine Person in den Boden trete und ihr irreparablen Schaden zufüge? Nur weil das Buch nicht nach meinem Geschmack war? Ich spreche nicht von greifbaren Mängeln wie Texten, die vor Fehlern überquellen oder einem wirklich schlechten Stil. Aber wenn es rein um den Inhalt geht, der mir nicht gefallen hat, dann ist es irgendwo eine reine Frage des Geschmacks. Und wenn ich jemandem schade, nur weil er eben meinen Geschmack nicht treffen konnte, dann ist das einfach unschön. Wie würde man sich denn selbst fühlen?

Ich als Mensch gehe mit einem Werk an die Öffentlichkeit, in dem unglaublich viel Arbeit und Herzblut stecken und kassiere Schelte, weil ich den Geschmack eines anderen nicht treffen kann. Und dieser erhält eine solche Macht, dass er andere davon abhält, vielleicht Gefallen daran zu finden. Schade. Denn eigentlich ist damit niemandem geholfen. Nicht den Erschaffern und nicht jenen, denen das Werk womöglich trotzdem gefallen hätte.

Die Qualität eines Buches ist nicht so leicht greifbar wie die Qualität eines technischen Artikels. Meist ist die Ansicht des Bewertenden subjektiv. Was der eine als absolut unmöglichen Unsinn verwirft, könnte das Lieblingsbuch eines anderen werden. Man kann dabei nur hoffen, dass der Letztere nicht so sehr auf Sternchen fixiert ist, dass er das niemals herausfindet.

Am Ende geht es nur um eines – man muss auch das Internet „bewusst“ behandeln. Man muss verstehen, dass hinter jedem Werk ein Mensch zu finden ist, dessen Gefühle man verletzen kann. Auch wenn man diesem Menschen niemals gegenüberstehen wird, gibt es eine gewisse Verantwortung, die man mit sich tragen sollte. Denn irgendwann befindet man sich vielleicht auf dieser berühmten anderen Seite des Zauns und muss selbst erleben, was man anderen so bedenkenlos antut.

2 thoughts on “Die Macht des Einzelnen

  1. Das Problem mit den Rezensionen ist so alt wie die Literaturkritik selbst. Ich lese viel und was ich lese rezensiere ich seit einigen Jahren mehr oder weniger Regelmäßig.
    Es gibt Bücher, ohne die meiner Meinung nach die Welt besser dran wäre, ebenso gibt es Bücher, die ich für sehr gut befinde – der Rest der Welt ist anderer Meinung.
    Das ist OK und damit müssen wir wohl leben. WO menschen sind, sind Meinungen und Meinungen sind Flatterhaft. Sie haben die Stetigkeit einer Flamme im WInd.

    Die Macht, die die Sternchen auf Käufer haben, ist nicht zu unterschätzen und tatsächlich gibt es eine erstaunliche Menge gekaufter Rezensionen. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich Qualität am Ende durchsetzt.

    1. Tja, das ist wahr. Früher waren es eben bekannte Kritiker, die Meinungen „gemacht“ haben.
      An sich ist eine Meinung haben eine sehr gute Sache und die richtet sich ohnehin immer sehr stark nach dem persönlichen Geschmack. So lange man das auch genau so wertet und Rezensionen als Meinungen einzelner nimmt, ist alles wunderbar. Das Problem ist sicher der Umgang mit den Rezensionen – oder auch das blinde Mitlaufen. „Alle sagen, das ist gut, also ist es auch gut.“ Und umgekehrt. Es wäre schön, wenn die Menschen sich wieder stärker eine eigene Meinung bilden würden und nicht nur nach den Sternchen gucken. Es fehlt die kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Rezensionen. Was der eine kritisiert kann für mich durchaus das Kaufargument sein. Aber leider endet der Blick meistens schon bei der Auflistung der Bücher. Zu wenig Sterne = Schlecht. Seh ich mir nicht an. Schade. Aber daran wird sich wahrscheinlich nichts ändern.

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