Über die Nähe zu den eigenen Charakteren

Eine Frage, die man als Autor immer wieder gestellt bekommt, ist die nach der Ähnlichkeit zu den eigenen Charakteren. Das ist auch gar nicht so weit von der Hand zu weisen, denn ein Teil unserer eigenen Persönlichkeit kann immer auch mit in die Charaktere einfließen. Allerdings sollte dieser Teil niemals überwiegen und es sollte auch nicht mit Absicht passieren.

Den meisten Autoren ist es wohl schon passiert, dass Freunde, Bekannte oder Leser auf die Suche nach Ähnlichkeiten gegangen sind und diese auch entsprechend interpretiert haben. Da wird zum Beispiel bei der Protagonistin des Liebesromans schonmal sehr stark nach Spuren geforscht; nicht selten sogar ein wenig spöttisch, denn dass Autoren immer über sich selbst schreiben, ist ja bekannt. Oder nicht?

Also schreibt man sich angeblich selbst in den Roman und erlebt siedend heiße Abenteuer mit dem wichtigen CEO, der eine dunkle Vergangenheit verbirgt. Oha, die geheime Leidenschaft der schreibenden Nachbarin ist somit vor aller Welt offenbar geworden! Der Gedanke, auf diese Weise in den Kopf eines anderen zu blicken, erscheint sicher oft verlockend. Aber selbstverständlich ist das im Normalfall nicht eben nah an der Wahrheit. Es mag diese Fälle geben und dann wird das auch deutlich, aber ich denke, dass die meisten Autoren sich Mühe geben, ihre Charaktere als eigenständige Persönlichkeiten zu entwickeln und ihnen ein eigenes Leben einzuhauchen. Sicher – es gibt immer die eine oder andere Weltanschauung, die zur Persönlichkeit des Autors gehört und die sich dann auch in seinen Charakteren offenbart. Aber so wenig, wie ein Thrillerautor selbst mordlüstern ist, ist die Autorin eines Liebesromans zwingend darauf aus, die kleinen und großen Lüsternheiten ihrer Figuren selbst zu erleben.

Ich weiß, dass es gelegentlich Ähnlichkeiten zwischen mir und unterschiedlichen Charakteren in meinen Romanen gibt. Diese kommen aber nicht absichtlich zum Vorschein. Allerdings – so ist es nun einmal – schreibt jeder von uns auch aus seinem eigenen Erfahrungsschatz heraus und verarbeitet diesen zu einem Teil in seinem Werk. Das ist normal. Wir haben Vorlieben, es gibt Dinge, die wir selbst gern lesen, wir haben Dinge erlebt, die vielleicht hier und da jenem etwas ähneln, das ein Charakter erlebt, und wir können uns dann auch stärker damit identifizieren.

Das bedeutet allerdings nicht, dass man absichtlich ein Spiegelbild seiner selbst bastelt und das dann auf die Reise schickt, um unsere innersten Geheimnissen und Träume für uns zu erleben. Das alles ist ein normaler Prozess, denn ein Autor ist in erster Linie ein Mensch, der aus seinem Kopf heraus schreibt. Ein Erzähler. Ich selbst lege zum Beispiel wenig Wert darauf, die Welt retten zu gehen und dabei mehrfach durch den Wolf gedreht und halb zermartert zu werden. Und meine geheimen Wünsche beinhalten nicht unbedingt, dass ich mit Bösewichten kämpfen muss, die mir oder wahlweise meiner Familie ans Leder wollen. Ein großes Erbe und Fürstin über ein Volk gehören auch nicht wirklich dazu.

Wo gibt es also diese Ähnlichkeiten zwischen Autor und Charakter? Überall und nirgends – kleine Sandkörnchen, die sich in verschiedenen Charakteren und an ganz unterschiedlichen Stellen eingenistet haben. Ich bin hoffentlich innerlich meilenweit entfernt von einem Demeas Aeneos, aber ich kann zumindest versuchen, in seinen Kopf zu blicken und die Dinge zu entdecken, die ihn zu dem gemacht haben, was er geworden ist. Das macht Erzählkunst aus. Also geht es beim Schreiben nicht um uns selbst, sondern um Empathie und den Versuch, auch solchen für uns fremden Charakteren nahe genug zu kommen, dass sie uns ihre Geheimnisse offenbaren – so düster sie auch sein mögen.

Gibt es also einen Charakter, der mir sehr ähnlich ist? Tatsächlich, den gibt es. Und diese Ähnlichkeit entstand vollkommen unbewusst und erstaunt mich heute selbst. Aber welcher das wohl sein mag … das bleibt mein Geheimnis.